Mit Galeere und Feuerwehr

Verein will Tourismus am Geiseltalsee vorantreiben

Von Iris Stein.

Halle 06.06.2008. Der See wächst. In jeder Minute. Und so schnell, dass zuschauen möglich ist. 2,5 Kubikmeter Wasser strömen pro Sekunde in das Restloch des ehemaligen Braunkohletagebaus Geiseltal. Um zehn Zentimeter steigt der Wasserspiegel pro Woche! 2010 ist der See voll. Und für die nächsten 80 Jahre die größte künstliche Wasserfläche in Deutschland.

"Dann könnten wir hier ein touristisches Zentrum sein", sagt Sven Jakubowski, Vorsitzender des Vereins Netzwerk Geiseltal und Inhaber einer Beraterfirma. Und damit es nicht beim "könnte" bleibt, sondern Mücheln und Braunsbedra spätestens zu diesem Zeitpunkt bekannte Reiseziele sind, genau deshalb gibt es diesen Verein.

Vor gut einem Jahr haben sich etwa 15 Unternehmer und engagierte Einwohner von Braunsbedra, Mücheln, Langeneichstädt, Krumpa und Merseburg zusammengetan. Was sich in der Vereinssatzung noch nüchtern anhört als "Mitgestaltung einer Infrastruktur" oder "Unterstützung von Unternehmungen beim Aufbau eines umfassenden Tourismus" entpuppt sich heute als Sammlung von überaus pfiffigen Ideen. Und es sind nicht nur Ideen, sondern auch schon handfeste Projekte.

Genau deshalb werkeln Tischlermeister Oliver Bach aus Merseburg und Holzgestalter Raik Dornis aus Halle schon seit Wochen in einer Werkhalle von Odenwälder Baumaschinen in Merseburg. Sie schuften sozusagen wie die Galeerensklaven. Was man getrost zumindest teilweise wörtlich nehmen kann, denn unter ihren geschickten Händen entsteht tatsächlich eine Galeere aus Kiefernholz. Die wird zum Sachsen-Anhalt-Tag auf dem Merseburger Gotthardteich zu Wasser gelassen und getauft. Zugleich ist die Galeere ein Probebau. Denn ein solches Schiff, nur sehr viel größer und mit Platz für 40 Passagiere, soll in nicht allzu ferner Zukunft über den Geiseltalsee rudern. "In einer Schauwerkstatt wird unsere Galeere gebaut werden", zeigt sich Tischlermeister Bach überzeugt. Noch ist der Verein auf der Suche nach einem Großsponsor, aber wie das Projekt ins Laufen kommen kann, wissen die Geiseltaler genau. Dazu holen sie Handwerkskammer und Arbeitsagentur ins diesmal nicht nur sprichwörtliche Boot, um das Projekt Geiseltalsee-Galeere zu stemmen. Diese entsteht übrigens nach dem Vorbild einer "Churfürstlichen Galeere" von Kurfürst Friedrich III. aus dem Jahr 1691. Die Vereinsmitglieder glauben, dass dereinst drei Galeeren auf dem See unterwegs sein könnten, die dann eine Kreuzfahrt der etwas anderen Art ermöglichen. In historischen Kostümen, mit Muskelkraft und natürlich auch neuzeitlichem Luxus.

Allen Zweiflern sei gesagt: Es gibt diese Projekte bereits in der Wirklichkeit, in der Hansestadt Lübeck zum Beispiel, und sie funktionieren durchaus. Ein anderes Vorhaben des Vereins hat bereits Gestalt angenommen: ein Kleingradierwerk. Seit September 2007 steht es in der Kneipp- und Naturkindertagesstätte "Gänseblümchen" in Mücheln und dient dort als Prototyp. "Wir wollen, dass noch viel mehr dieser Gradierwerke an der südlichen Uferlinie des Sees entstehen", sagt Holger Schmidt, der stellvertretende Vereinsvorsitzende, der freischaffend im Medienbereich tätig ist. Im Abstand von etwa einem Kilometer sollen die "Ufergradierwerke" errichtet werden und Wanderern, Radfahrern und Badegästen Erholung und auch etwas für die Gesundheit bieten. Acht Meter lang und drei Meter hoch sollen die Bauwerke für einen Teil des Ufers zum Wahrzeichen werden.

Das gilt noch viel mehr für die Pilgermuschel. Bei der Schilderung dieses Plans geraten Holger Schmidt und Sven Jakubowski regelrecht ins Schwärmen. Gepilgert wird künftig nämlich auch am See, denn dort verläuft der St. Jakobus Pilgerpfad, der einst auch der Kirche St. Jakobi in Mücheln ihren Namen gab. Damit Wanderer Schutz und Ruhe finden, entstehen Pilgermuscheln - Unterstellmöglichkeiten in Muschelform. Den Entwurf dafür haben die Geiseltaler keinem geringeren als Star-Designer Luigi Colani zu verdanken.

"Der hat sofort das Potenzial der Gegend hier erkannt", erzählt Sven Jakubowski. Von der Einladung an den berühmten Verfechter der runden Formen bis zu seiner Ankunft in Mücheln vergingen gerade einmal zwei Wochen. Dann kam Colani persönlich sich umzuschauen. Der Meister zeigte sich beeindruckt von der Seenlandschaft und lieferte prompt den gewünschten Entwurf für den Pilgerschutz. "Nun suchen wir nach Finanzierungsmöglichkeiten, um Prototyp und Rechte kaufen zu können", sagt Jakubowski und weis auf den Vereinsalltag hin: Sponsoren gewinnen, Fördergelder einwerben, Projekte anschieben.

Noch dürfte der Bekanntheitsgrad des Geiseltalsees außerhalb der Region nicht allzu groß sein. Doch das wird sich ändern. Mit ihrem ersten Projekt haben die Vereinsmitglieder vor allem daran gedacht, die Region und sich bekannt zu machen - mit einem rollenden Info-Punkt. Überall wo der auftaucht, ob bei Messen, Veranstaltungen oder Festen, da zieht er die Blicke auf sich. Wie auch nicht, immerhin handelt es sich um eine sorgfältig restaurierte Feuerwehr, genauer gesagt einen Horch S 4000-1.

Der Einsatzbefehl zum Sachsen-Anhalt-Tag lautet jedenfalls "Löscheinsatz mit individueller Personenbetreuung und Lieferung von 300 Liter Bier". Und so löscht die Feuerwehr gleich doppelt: Neben dem echten auch den Informationsdurst.